Lektorat: i-Tüpferl-Reiterei oder Präzision?

Lesen in 7 Minuten

Die Wortschneiderei ganz persönlich: Lektorat-Expertin Huberta Weigl im Interview

Fehlerfrei und stilgenau: Die Wortschneiderei zückt gern den Rotstift und bringt mit Hilfe von Lektoraten oder Korrektoraten Texte in Form. Ist die Auftragslage sehr groß oder sind die Texte in unserer Agentur selbst verfasst worden, holen wir uns bei Lektoraten gerne eine ganz besondere Expertin zu Hilfe: Huberta Weigl von der Schreibwerkstatt. Michaela Summer traf sie zum Interview und sprach mit ihr über i-Tüpferl-Reiterei, woran man ein seriöses Lektoratsangebot erkennt und warum der Teufel oft im Detail liegt.

Lektorin und Gründerin der „Schreibwerktstatt“: Huberta Weigl
Bildquelle: Andrea Sojka Fotografie

Wortschneiderei: Wenn ich mich jemandem als „Lektorin“ vorstelle, denkt mein Gegenüber oft an Berge von Buchmanuskripten und die gnadenlose Macht über Sein oder Nicht-Sein aufstrebender Autorinnen und Autoren. Kläre doch bitte auf, was Lektorinnen in Wirklichkeit machen!

Berge an Buchmanuskripten, hinter denen die Hoffnung auf den großen Erfolg als Autorin bzw. Autor steht, haben höchstens Lektorinnen und Lektoren in Verlagen am Tisch. In der Schreibwerkstatt lektorieren wir natürlich auch Buchmanuskripte, treffen glücklicherweise aber keine wegweisenden Entscheidungen. Also, wir entscheiden nicht über Sein oder Nicht-Sein – im Gegenteil: Wir unterstützen im Lektorat Menschen dabei, ihre Texte in die Welt zu bringen, und dabei spielt es keine Rolle, ob sie ihr Buch in einem Verlag veröffentlichen oder es selbst publizieren. Mit „wir“ sind übrigens meine beiden Lektorinnen gemeint, die mich bereits seit mehr als zehn Jahren in der Schreibwerkstatt unterstützen.
Ach, und literarische Texte kommen bei uns gar nicht so oft rein. Der Lektoratsalltag in der Schreibwerkstatt ist eher gefüllt mit wissenschaftlichen Manuskripten, Business- und Kundenmagazinen für Unternehmen, Zeitschriften für Berufsverbände, Jahresberichten für Organisationen, Internetauftritten von Selbstständigen etc.

Wortschneiderei: Wir beide kennen uns, weil du sehr gewissenhafte Lektorate anbietest und ich nicht selbst lektoriere, wenn ich die Redaktion innehabe oder die Texte aus meiner Feder stammen. Ich schätze den genauen Blick von außen. Dazu gibt es auch eine Anekdote: Für eine Kundin waren deine Lektorate zu genau. Erzähl mal, wie es zu diesem „Problem“ kommen kann!

Bei einem Lektorat korrigieren wir nicht nur Rechtschreibung, Grammatik und Zeichensetzung, sondern polieren den Text auch sprachlich, entweder durch Änderungen direkt im Text oder über Anmerkungen: So machen wir Vorschläge für stilistische Verbesserungen, weisen auf Gedankensprünge und manchmal auch auf inhaltliche Fehler hin. Oft zeigen wir die nach Duden unterschiedlichen Möglichkeiten zur Schreibung eines Wortes auf, erklären, warum etwas wie geschrieben wird, und immer wieder weisen wir auf gendersensiblen Sprachgebrauch hin. Kundinnen und Kunden sind natürlich unterschiedlich stark an diesen Hinweisen interessiert. Manchmal möchten sie einen Text (ich glaube, in dem angesprochenen Fall war es ein Unternehmensmagazin) einfach nur abschließen und zum Druck befördern. Da können Fragen durchaus auch mal als Belastung empfunden werden. Der Großteil unserer Kundinnen und Kunden schätzt unsere Hinweise aber, zumal sie ja auch die Möglichkeit bieten, dazuzulernen. 😊

Wortschneiderei: Woran messen wir also ein gutes Lektorat? Und wie erkennt man schon im Vorhinein, ob man es mit einem seriösen Angebot für ein Lektorat zu tun hat?

Das ist tatsächlich nicht leicht zu beurteilen. Wir machen bei Projekten mit mehr als sechzig Seiten immer gern ein Probelektorat. So sehen unsere Kundinnen und Kunden, wie wir arbeiten. Außerdem beschreiben wir den Leistungsumfang natürlich sehr genau (inkl. Zahl der Korrekturdurchgänge). Ich persönlich finde, dass auch ein Blick auf die Website durchaus ein Bild von der Anbieterin oder dem Anbieter des Lektorats vermittelt. Wie beschreibt sie bzw. er das Angebot? Gibt es eine Über-mich-Seite? Bekommt man ein Gefühl für den Menschen hinter dem Angebot? Wichtig zudem: Gibt es ein Impressum und was steht da? Für manche Kundinnen und Kunden sind Referenzen wichtig, allerdings für weniger, als man denken könnte.

Wortschneiderei: Künstliche Intelligenz kann mittlerweile auch lektorieren. Inwiefern sind wir Menschen in unserer Branche noch wichtig? Wie bieten wir unseren Kundinnen und Kunden einen Mehrwert?

ChatGPT & Co. haben unsere Branche wirklich in Bewegung gebracht. Bei einem Korrektorat, also einer reinen Korrektur von Rechtschreibung, Grammatik und Zeichensetzung, bieten diese Tools ganz gute Ergebnisse, allerdings weist ChatGPT zum Beispiel die Korrekturen nicht explizit aus. Dazu braucht es speziellere Tools. Bei vielen Aufgaben hat KI noch große Schwächen. Das Sprachgefühl einer guten Lektorin bzw. eines guten Lektors ist durch KI lange nicht zu ersetzen. Auch bei inhaltlichen Mängeln oder bei Mängeln in der Logik eines Textes überzeugt KI bislang noch nicht. Genau genommen versagt künstliche Intelligenz überall dort, wo wir Anmerkungen machen, also mitdenkende Leserinnen sind.

„Wenn wir einen Text schreiben, werden wir betriebsblind – und da nehme ich mich gar nicht aus. Hinzu kommt, dass die meisten Menschen nicht zu hundert Prozent sattelfest in Rechtschreibung, Grammatik und Zeichensetzung sind.“

Huberta Weigl

Wortschneiderei: Sehr oft „noch“, nicht wahr? Denn sicher wird sich das ändern, womöglich schneller, als uns lieb ist! KI entwickelt sich in einem rasanten Tempo weiter und, wer weiß, unter Umständen wird es all diese Anfangsschwierigkeiten bald hinter sich gelassen haben. Da sind wir gut beraten, denke ich, wenn wir uns diese Möglichkeiten zunutze machen, statt sie zu ignorieren. Nächste Frage: Warum sollte man bei jedem Schreibprojekt ein Lektorat einplanen und vor allem: Zu welchem Zeitpunkt sollte das Lektorat erfolgen?

Wenn wir einen Text schreiben, werden wir betriebsblind – und da nehme ich mich gar nicht aus. Hinzu kommt, dass die meisten Menschen nicht zu hundert Prozent sattelfest in Rechtschreibung, Grammatik und Zeichensetzung sind. Manche haben zudem Schwächen im Ausdruck, formulieren also mehr oder wenig holprig. Im Zuge eines Lektorats werden Fehler eliminiert und der Text stilistisch poliert. Das zahlt sich immer aus. Wirklich immer! Ich habe noch nie erlebt, dass ein Text, nachdem er durch unsere Hände gegangen ist, nicht besser war. Wer schreibt, möchte ja mit seinem Text jemanden und/oder etwas erreichen – und ob das gelingt, hängt von der Textqualität ab. Ich rate dazu, immer erst die finale Fassung ins Lektorat zu geben. Wenn der Korrekturaufwand hoch ist, zahlt sich in der Regel eine zweistufige Korrektur aus. Das bedeutet, dass wir zuerst ein Lektorat machen, dann wird der Text gesetzt. Und zum Schluss schauen wir uns noch das druckfertige PDF an.

Wortschneiderei: Welche Infos brauchst du vorab, um ein Angebot zu legen?

Ich brauche möglichst genaue Infos zum Textumfang und zur Textqualität. Optimal ist es, wenn wir den gesamten Text vorab bekommen (zum Ablauf siehe auch die Infos hier). So können wir den Aufwand präzise einschätzen. Außerdem brauchen wir natürlich Infos darüber, ob das Lektorat in Word, im PDF oder in InDesign gemacht werden soll und wie der Zeitplan aussieht.

Weißt du alles besser?

„Ich lege schon Wert auf Präzision. Gerade im Lektorat geht es ja darum, Fehler auszumerzen und Texte stilistisch zu verbessern. Also, mein Team und ich, wir sind Präzisionsarbeiterinnen.“

Huberta Weigl

Wortschneiderei: Bist du eigentlich eine i-Tüpferl-Reiterin? Und weißt du alles besser?

Eine super Frage! Ich lege schon Wert auf Präzision. Meine Arbeit und die meiner beiden Lektorinnen hat Qualität und gerade im Lektorat geht es ja darum, Fehler auszumerzen und Texte stilistisch zu verbessern. Also, mein Team und ich, wir sind Präzisionsarbeiterinnen, würde ich sagen.

Wortschneiderei: Kannst du ein Buch lesen, ohne in Gedanken alles umzuformulieren oder Rechtschreibfehler zu finden?

Doch, auf jeden Fall. Wenn ich lese, bin ich vor allem beim Inhalt. Und wenn ich mal ein schlecht formuliertes Buch in Händen halte, das mich ärgert, gebe ich es bald weg.

Wortschneiderei: Gibt es Fehler, die du auch machst, oder Wörter, bei denen du selbst nachschauen musst, wie man sie schreibt?

Bei Zusammen- und Getrenntschreibung und bei kniffeligen Fragen der Kommasetzung schaue ich gerne mal nach. Wenn ich etwas übersehe, ist das freilich nicht schlimm, denn alle wichtigen Texte (also zum Beispiel auch meine Blogartikel) liest ja am Ende noch eine meiner beiden Lektorinnen. Ich arbeite immer nach dem Vier-Augen-Prinzip, auch als Texterin.

Wortschneiderei: Unsere Sprache ist stetig im Wandel: neue Wortkreationen dank gesellschaftlicher Ereignisse oder Krisen, geschlechtergerechte Sprache, Jugendsprache … Wie stehst du diesen Veränderungen gegenüber? Magst du unsere Sprache noch oder bevorzugst du eine elaborierte Sprache aus den alten Werken großer Schriftstellerinnen und Schriftsteller?

Ich sehe das entspannt, auch wenn ich die Trends der Jugendsprache vermutlich nicht immer in allen Details mitbekomme. Sprache ist lebendig und bunt und, klar, sie entwickelt sich. Uns in der Schreibwerkstatt ist es wichtig, bei jedem neuen Auftrag die Sprachvariante zu benutzen, die der Textsorte entspricht.

„Schreiben ist eine Art von Kunst, wenn man davon ausgeht, dass wir beim Schreiben unser Innerstes nach außen kehren, uns ausdrücken. Dabei hat nicht jeder Text gleich literarische Qualität, natürlich nicht, aber jedes Schreiben ist Selbstentäußerung.“

Huberta Weigl

Wortschneiderei: Die Schreibwerkstatt kann mehr als nur lektorieren. Du kommst genauso aus der Welt des Schreibens, hast – unter anderem – Kunstgeschichte studiert. Ist Schreiben für dich auch eine Art von Kunst?

Ja, ich finde, Schreiben ist eine Art von Kunst, wenn man davon ausgeht, dass wir beim Schreiben unser Innerstes nach außen kehren, uns ausdrücken. Dabei hat nicht jeder Text gleich literarische Qualität, natürlich nicht, aber jedes Schreiben ist Selbstentäußerung. Und auch wenn ich wissenschaftliche Texte oder Marketingtexte schreibe, zeigt am Ende deren Qualität, wie viel Know-how und Erfahrung ich in sie gesteckt habe.
Außerdem hat Schreiben auch eine therapeutische Wirkung – in erster Linie natürlich beim Tagebuchführen, aber auch einfache Notizen über den Tag können entlasten. Schreiben macht glücklich!

Wortschneiderei: Wir sind Kolleginnen und bei der Namensgebung unserer Agenturen scheinen wir einen ähnlichen Zugang gehabt zu haben. Warum heißt dein Unternehmen „Schreibwerkstatt“?

Nach dem Auslaufen meiner befristeten Stelle an der Uni habe ich mir überlegt, wie es weitergehen könnte. Da ich gerne und gut geschrieben und zudem mit Leidenschaft gelehrt habe, war bald mein Entschluss klar, eine eigene Website mit einem entsprechenden Angebot aufzubauen. Als es darum ging, dem Ganzen einen Namen zu geben, wusste ich sofort: Das ist die Schreibwerkstatt! Etwas später habe ich den Namen dann auch ins Handelsregister eintragen lassen.

Wortschneiderei: Zum Abschluss: Verrätst du uns noch dein Lieblingswort?

Mein Lieblingswort ist vermutlich „unfassbar“. Ich mag es und verwende es beim Sprechen ziemlich oft. Es zeigt so schön, wie Sprache Gefühle ausdrücken kann, in diesem Fall Erstaunen und Begeisterung gleichzeitig.

Porträt Huberta Weigl Copyright: Andrea Sojka Fotografie

Über die Interviewpartnerin:
Huberta Weigl hat zuerst BWL und danach Kunstgeschichte studiert und damit eine große Leidenschaft entdeckt, die sie auch lange beruflich verfolgt hat. Nachdem sie zunächst an einem kunsthistorischen Forschungsprojekt der Österreichischen Akademie der Wissenschaften mitgearbeitet hat, hat ihr Weg sie anschließend an die Universität Wien geführt. Von 1997 bis 2007 war Huberta Weigl dort Mitarbeiterin am kunsthistorischen Institut. Im Rahmen dieser befristeten Stelle hat sie auch promoviert. Nach ein paar Jahren als Freiberuflerin hat sie schließlich 2012 die Schreibwerkstatt gegründet. Seitdem unterstützt sie Menschen bei ihren Schreibprojekten. Studierende leitet Huberta Weigl in Form von Workshops, Schreibgruppen und Coachings bei ihren Uni- bzw. FH-Arbeiten an.

Bild: Huberta Weigl, Bildquelle: Andrea Sojka Fotografie